Hörgenuss und Regenguss: Das traditionelle Konzert des Sinfonieorchesters Friedrichshafen musste wegen Regen abgebrochen werden
Man wollte schimpfen, dass die Spucke fliegt, Petrus samt Wettermafia auf Schadenersatz verklagen. Inspiriert vom heißen Sommertag flatterten luftige Sommerkleider im leichten Wind, säumten die Bühne im Tettnanger Schlosshof und schufen die passende Atmosphäre zum Thema „romantischen Opernnacht“. Ein Augen- und Ohrenschmaus wäre es geworden, hätte Petrus nicht – allen fundierten Wetterprognosen zum Trotz – seine eigene Choreografie ins Spiel gebracht. So wurde dem Publikum der Schlosshofserenade nur das „Amuse Bouche“ – der Appetizer – serviert, um es anschließend hungrig unterm Knirps nach Hause zu schicken.
Zugegeben, der Himmel versprühte schon zu Beginn der abendlichen Freiluftmusik nicht den uneingeschränkten Sandalenoptimismus, als Schuberts „Zauberharfe“ zum Auftakt in die Welt der Feen und bösen Geister entführte, in ein Zauberspiel, in dem, wie immer, der Held über das Böse siegt. Ernst und getragen begann Joachim Trost mit dem Sinfonieorchester Friedrichshafen die Ouvertüre, sodass das einsetzende, von den Holzbläsern liedhaft gesungene Thema, beinahe überraschend kam. Damit war das breite Spektrum des Werks aber erst angerissen. Tänzerisch leichtfüßig wie eine Polka und mit fein herausgearbeiteter Dynamik machte die Ouvertüre Appetit auf die Geschichte, wenn das Libretto denn nicht verschollen wär. Inzwischen hatte der Wind aufgefrischt und der Dirigent kämpfte mit fliegenden Notenblättern, die er pragmatisch mit seinem Schlüsselbund bändigte. Zum Trost trat Anna-Magdalena Perwein auf. Schwerelos schwebte ihre Stimme in der Arie „Quel guardo il cavaliere“ dem wolkenverhangenen Himmel entgegen, bewegte ihre Koloraturen mühelos zwischen Schreien und Flüstern, um Norinas kapriziösem Charakter Ausdruck zu verleihen.
Gaetano Donizettis komische Oper „Don Pasquale“ erzählt vom lüsternen Stenz, der zum Schein mit der jungen Norina verheiratet wird, die ihm das Leben zur Hölle machen soll. „Ich liebe es, zu scherzen. Wenn ich wütend bin, bleib’ ich nicht ruhig“, sang die Sopranistin, die 2009 das außerordentliche Jungstudium am Mozarteum in Salzburg begann und mit ausdrucksvoller Mimik verriet, welche Tricks sie auf Lager hat, den Lüstling in die Flucht zu schlagen.
War die Sopranistin in grüner Seide gekleidet, so erschien jetzt ganz in Orange ihr Gegenpol. Die gebürtige Tettnangerin Maria Hegele faszinierte mit ihrem dunklen Timbre und der stolzen Haltung der Spanierin. Ihre beschwörend gestaltete Romanze der Luisa aus „Las hijas del Zebedeo“, einer Zarzuela, wie diese Form der Operette in Spanien heißt, untermalte das Orchester mit Flamenco-Rhythmen und zauberte einen orientalischen Touch. Hegele ist Stipendiatin des Mozarteums in Salzburg und absolviert wie Perwein dort ihren Master-Studiengang. In beiden Arien gelang es Trost, den Sängerinnen weiten Raum zur Entfaltung zu geben. Er nahm das Orchester einfühlsam zurück. Das Prélude aus der Ballett-Suite „Sylvia“ von Léo Delibes gab dem Orchester anschließend die Gelegenheit, mit einer breiten Farbpalette selber zu glänzen. Das Ballett, über das Tschaikowski einst sagte: „Hätte ich diese Musik vorher gekannt, hätte ich Schwanensee nicht geschrieben“, erzählt die Geschichte einer tugendhaften Nymphe, die an der Jagd und weniger an der Liebe Interesse hat. Zwischen weiche, tadellos intonierte Hornklänge, mischten die Streicher mystisch-zartes Kolorit, der Hörner Jagdgesang wurde von rasenden Läufen in den Geigen unterstützt. Leichtfüßig mischte die Triangel mit, als die Musik mit einem unerwarteten Schluss das begeisterte Publikum überrumpelte.
Die Oper „Lakmé“ desselben Komponisten schloss sich an, die die unheilschwangere Liebesgeschichte der braven Tochter eines indischen Priesters mit einem britischen Offizier thematisiert. Im „Blumenduett“, das Lakmé mit ihrer Dienerin Malika singt und das über die Grenzen der Klassik hinaus zahlreiche Liebhaber hat, verschmolzen die beiden Stimmen zu perfekter Einheit. Mit bedrohlichem Donner-grollen im Hintergrund – das Publikum schickte besorgte Blicke zum Himmel – schwebten die beiden von der Bühne, um aus dem Off des Schlosses für zauberhaften Nachhall zu sorgen. Noch während das Orchester das Thema ausklingen ließ, begann es zu regnen. Erst leise, dann penetrant.
Die Pause wurde vorgezogen und geduldig wartete das enttäuschte Publikum beinahe eine Stunde lang vergeblich auf das Ende des Regens, was in der schlechten Dramaturgie des obersten Wetterintendanten aber leider nicht vorgesehen war.
Annette Bengelsdorf
Quelle: Südkurier vom 21.07.2017